Vom Betragen — Knigge
für Freimaurer
Schon wieder ein Knigge-Ratgeber, der uns Benimm beibringen
soll? Der Freimaurer Sylvio J. Godon hat ein Büchlein “Vom Betragen – Knigge
für Freimaurer” vorgelegt. Da stellt sich die skeptische Frage: Muss das sein?
Der arme Adolph Freiherr
von Knigge, übrigens Freimaurer, muss für alles mögliche herhalten. Unzählige
Benimmbücher sind unter Benutzung seines Namens erschienen: Knigge für die
Karriere, Knigge für Kids, Knigge in jeder Lebenslage, Knigge fürs Business, Knigge
im Restaurant. Dabei hat Knigge niemals Gebrauchsanleitungen für unfallfreies
Essen oder geschicktes Rodeln auf gesellschaftlichem Parkett geschrieben.
Sondern einen bis heute lesenswerten Text “Über den Umgang mit Menschen”, in
dem er ganz allgemein beschreibt, wie Menschen unterschiedlichster Art
miteinander umgehen können.
Mit seinem Buch wollte
er Situationen wie die von ihm geschilderte vermeiden: “Wir sehen die witzigsten, hellsten
Köpfe in Gesellschaften, wo aller Augen auf sie gerichtet waren und jedermann
begierig auf jedes Wort lauerte, das aus ihrem Munde kommen würde, eine nicht
vorteilhafte Rolle spielen, sehen, wie sie verstummen oder lauter gemeine Dinge
sagen, indes ein andrer äußerst leerer Mensch seine dreiundzwanzig Begriffe,
die er hie und da aufgeschnappt hat, so durcheinander zu werfen und
aufzustutzen versteht, daß er Aufmerksamkeit erregt und selbst bei Männern von
Kenntnissen für etwas gilt.”
Und nun kommt ein
anderer Freimaurer und schreibt Benimmregeln für Freimaurer unter Freimaurern
und nennt auch das wieder einen Knigge. Dabei ist es eigentlich ein für die
Spezies der Menschenfreunde nicht notwendiges Buch. Denn der aufgeklärte und
sich selbst hinterfragende Bruder weiß eigentlich aus dem Ritual, aus der
Kenntnis der Symbole und Metaphern, aus den Unterweisungen im Lehrlings- und
Gesellengrad, aus dem Betrachten seiner Vorbilder in der Loge ganz genau, wie
man sich als Mensch zu anderen Menschen verhält. In den eins, zwei, drei Jahren
nach einer Aufnahme und bei guten Lehrmeistern klappt das eigentlich ganz gut.
Ist man erst einmal Meister, werden viele vergesslich, und manchmal vergessen
sie sich, dieses eigentlich überflüssige Büchlein kann sie erinnern.
Der Autor schreibt im
Vorwort, dass er mit seinem Buch nicht den Zeigefinger erheben wolle.
Gleichwohl blickt der moralische Finger dem Leser auf jeder Seite dann doch
entgegen, als wäre er das freundlicherweise beigefügte Kapitälchenband, ein
Lesezeichen für jede Seite. Und der größte Teil des Buches liest sich dann auch
ein bisschen wie sich eine autosuggestive Meditationskassette aus den
Achtzigern anhörte: “Im Zusammenleben erstrebe ich …”, “Ich beuge Entwicklungen
vor, die …” oder “Ich halte mich an …”. Aber dieses Autosuggestive, wenn man es
über sich ergehen lässt, kann dann doch wie ein Mantra wirken und Wirksamkeit
entfalten.
Wer neben der in den
Ritualen vermittelten Grundhaltung oder den in den “Alten Pflichten”
enthaltenen Anweisungen zum “Betragen der Brüder” eine Art Gebrauchsanweisung
benötigt, wem “ToDos” helfen, findet in diesem Buch sicher genügend konkrete
Handlungsvorschläge für den Alltag. Der Autor geht allerdings von einem
Idealbild aus, denn er lässt Regeln vermissen für den Umgang mit Regelbrechern,
mit Besserwissern, Aufschneidern, ungehobelten Burschen. Sie sind
glücklicherweise die Minderheit in der Freimaurerei, können aber eine ganze
Gruppe bis ins Mark treffen. Für das Unterlaufen einer Streitkultur haben der
Autor und so manche Loge keine Antworten und lassen den Ungezogenen leichtes
Spiel. Hier wäre ich auf Regeln gespannt, da ist der Knigge im Original besser
aufgestellt. Oder Schopenhauer.
Ich komme auf meine
Frage vom Anfang zurück: “Muss das sein?” – Muss wohl, jedenfalls kann es nicht
schaden. Interessant ist das Buch sicher auch für Außenstehende, denn es
erlaubt einen sehr praktischen Ausflug in die Gedanken- und Alltagswelt der
Freimaurer, eine Idealwelt, die allerdings oft genug in den Logen auch
tatsächlich so oder zumindest so ähnlich stattfindet. Das sind die
Sternstunden, die begeisterte Freimaurer mit leuchtenden Augen hinterlassen.
Das Buch zeigt aber auch, und das ernüchternd, was eigentlich mit der “Arbeit”
der Freimaurer gemeint ist. Das Erleben der Rituale ist schön, die guten
Vorsätze aus den Zusammenkünften beflügeln und motivieren. Aber womit es vor
der Tür des Tempels losgehen muss, von den Mühen des Verstehens seiner
Mitmenschen im Alltag, den guten Taten, dem vorbildlichen Verhalten, von dieser
ungemein anstrengenden Arbeit berichtet dieses Buch, das im Übrigen mit viel
Herzblut und Liebe zur Maurerei geschrieben wurde.
“Vom Betragen, Knigge
für Freimaurer. Ein ganz persönlicher Ratgeber von Sylvio J. Godon”.
Salier-Verlag, 88 Seiten, DIN A 6, Hardcover mit Kapitälchenband, ISBN
978-3-943539-90-5, 12 €